Beide Arme liegen seitlich auf der Decke, sie hat die Augen geöffnet, wabernde Essengerüche steigen ihr in die Nase. Show down zur Mittagszeit im Seniorenstift. Links auf die Bettkante setzt sich ein Mitarbeiter, einen Teller mit durchgedrehten Essen in der einen, den Löffel in der anderen Hand. Wir wollen essen, sie blickt ihn unverwandt an. Ihre Sprache ist verschwunden, wie so vieles aus ihrem Leben. Mit dem Löffel schabt er den hängengebliebenen Essenrest von ihrer Oberlippe, einmal, zweimal, dann läßt er es sein. Sie bewegt ihre rechte Hand langsam in Zeitlupentempo an die Lippen um den störenden, klebenden Rest selbst abzuwischen. Mit einer schnellen Bewegung scheucht er die Hand auf die Decke, einmal, zweimal, lassen sie das, es kostet nur Zeit, wir wischen den Mund später ab. Es ist unangenehm dieser feuchte Rest ständig an der Oberlippe. Er ahnt es, aber sie muss in sieben Minuten abgefüttert sein. Sie versucht es mit der linken Hand, doch schon klemmt er sich diese zwischen die Schenkel. Sie schließt die Augen und den Mund. Er setzt die Schnabeltasse an ihre Lippen, sie nimmt einen Schluck und das Dinner ist beendet für sie, nicht für ihn. Auf dem Nachtisch liegt die Dokumentation eingeteilt in Fächer und Linien, die gilt es auszufüllen. Wieviel hat sie gegessen, wieviel getrunken, ihr Medikament eingenommen, wie ist der Puls, war sie auf der Pfanne. Mein Gott, er muss noch drei Leute abfüttern. Ab in die Teeküche mit dem Tablett, das Nächste genommen, der Alte ist es, der schluckt wenigstens schnell. Er mag seine Arbeit gerne, die Leute auch, nur er hat keine Zeit.
Welcher Idiot hat die Zeiten ausgedacht für die Pflege der alten Leutchen. Sein Magen knurrt, doch er muss die Schicht schaffen. Die Klingel geht, jemand muss auf die Toilette geführt werden, ich habe keine Zeit, ich gebe ihnen die Pfanne und sehe nachher wieder rein. Er vergißt es, die Ablösung schimpft, noch keine Übergabe gemacht und schon den Gestank als erstes um die Nase, die Haut ploppt und zieht sich unter der Blechpfanne wundig. Das soll die Nachtschicht morgen früh eincremen. Die Frau ohne Sprache, dreht die Augen zum Fenster, ganz hinten zeigt sich ein wenig blauer Himmel, sie ist hungrig und durstig, nimmt das Betttuch, wischt sich den Rest aus den Mundwinkeln, in zwei Stunden bekommt sie wieder einen Schluck zu trinken. Draussen erhitzen sich die Gemüter, mehr Geld für die Pflege, da sitzen sie sich quadratisch in Talkshows gegenüber. Angemessenen Lohn für die Mitarbeiter und Zeit, nur Zeit würde reichen um der Liebe zu den alten uns Anvertrauten eine Chance zu geben, ihr Leben würdig zu beenden. Dazu braucht's weder Reform, noch profilierungsüchtige Politiker. Nur Zeit.