Es gibt sie unbenommen und sei jedem zu gönnen, das sorglose Altern. "Aber bitte mit Sahne", stand für eine ganze Generation von gutbürgerlichen Großeltern, beim Kaffeeklatsch. Oft erschließt sich Armut langsam und nur bei genauem hinsehen, abgesehen vom täglichen Straßenbild armer oder ärmlicher alter Leute. Zwangsläufig musste ich Zeuge einer Armut werden die sich uns so schnell nicht erschließt. Zehn Tage Lungenentzündung in einem Zweibettzimmer im Krankenhaus, lehrten mich erst erstaunt, dann beschämt, dass ich zu dieser Art von Armut keinen Zutritt habe. Eine große, grobknochige, leichenblasse Frau lag mir gegenüber, tagsüber mit grünem Bademantel bekleidet auf dem Bett, nachts mit offenem Krankenhausnachthemd. Im Bad eine Zahnbürste, nichts sonst, das Krankenhaus stellt kostenlos einen Seifenspender und ein Lotion in jedem Bad zur Verfügung. Es gab nichts persönliches von dieser Frau, weder im Zimmer noch im Bad. Sie litt unter Anämie und bekam drei Bluttransfusionen innerhalb von drei Tagen. Stumm lag sie den ganzen Tag auf dem Bett, las nicht, sprach nicht, bis ihr Mann pünktlich zur Essenszeit fröhlich das Zimmer betrat, einen Witz erzählte und sich die schönsten Brocken, (!!) Bissen von seiner Frau in den Mund schieben ließ. Ein heiterer Mann, mit leichtem Körpergeruch. Nie brachte er etwas mit, weder Obst noch Blumen. Irgendwann nahm ich mir ein Herz und fragte, ob sie nicht daran denke, bei dieser Krankheit einmal einen ausgiebigen Urlaub am Meer bei entsprechend guter Kost zu unternehmen um wieder zu Kräften zu kommen? Nein, war ihre Antwort, ich kann meinen Mann und unser Haus nicht alleine lassen, wir haben Nachbarn, die unser Grundstück oft als Parkplatz benutzen, da achten wir darauf, außerdem komme ich zweimal im Jahr zur Bluttransfusion, das hilft. Also Hauseigentümer die sich bei den gestiegenen Kosten kein Haus mehr leisten und es wahrscheinlich auch nicht verkaufen können und solange sie Hausbesitzer sind, bekommen sie keine staatliche Unterstützung, so wird ihre Rente für die Nebenkosten draufgehen. Sie halten ihre Status mit Auto und Haus, essen wird zur minimalen Lebenserhaltung.
Als ich ging nahm sie dankend meine Reste an Obst und Säften und den Kopfhörer für das Zimmerfernsehen.