Länger als 40 Jahre ist es her, die Straßenkämpfe tobten, „Bild“ heizte die Stimmung gegen APO, Dutschke und Sympathisanten in der Bevölkerung auf, nagelte sie täglich neu ans Kreuz, bis einer nicht zum Nagel, sondern zur Pistole griff, der Rest ist bekannt. Ich sagte damals, wartet 25 Jahre und es gibt eine Rudi Dutschke Straße, was allen völlig hirnrissig schien, mich Närrin, Naive, Romantikerin schalt. Nun ich verschätzte mich, es dauerte 40 Jahre, nun steht das Schild neben der Kochstraße, wird zur Nostalgie den Damaligen, den heutigen zur Geschichte.
Machen wir in Jahrzehnten.
Vor genau 10 Jahren: März war’s, sonnig, warm, ich lehnte an einer Hauswand, rauchte eine Zigarette, dachte, also tennisballgroß linke Lunge, auch das noch, muss schnell entfernt werden, wegen der Überlebenschance. Der Chirurg dachte, sicher ist sicher und besser den ganzen Lungenflügel weg. Die Statistik sagt, 5% überleben 10 Jahre nach Lungenkrebs, heute scheinst, ich bin die 5% der ganzen Statistik. Habe keinen getroffen, vielleicht weil ich Chemo und Bestrahlung ablehnte, sicher war ich, das muss wie ich es will werden. Eine Lungenhälfte weg, da wird die andere für zwei arbeiten müssen und es funktionierte, sie wuchs quasi über sich hinaus, drei Wochen später saß ich auf dem Fahrrad. Manchmal war es ihr zuviel sie streikte, ich schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land, schimpfte und bettelte, wünschte mich auf den Zauberberg von Thomas Mann nach Davos.
„Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. So beginnt der Roman.
Ich reise nach Heiligendamm in so ein 200Betten-Silo, ich muss, die verbliebene Hälfte gefällt sich in ständiger Lungenentzündung, ist schwer beleidigt, krümmt sich, rollt sich ein, also muss ich sie ins Weite führen, atmen lassen, jedenfalls anbieten.
Der Sand unter meinen Füßen sind die Körner die ich spüre und das Meer sehe ich mit meinen Augen und das andere das lieblose schieb ich wie eine Theaterkulisse weg. Und wenn die Lunge jetzt nicht mehr will oder kann, na dann hat sie mich 10 Jahre getragen, mich fast 70 Jahre werden lassen, da kann ich nur danken, a la bonneur.
Ein paar Tage wird es dauern, bis ich mich wieder tageskritisch einmische.
Augenblicklich fehlt mir die Luft um sie Politikern entgegen zu pusten.